A car driver uses emotional sensing devices to evaluate his facial expression and blink frequency to detect signs of fatigue.
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Reihe: The Future of Interfaces - Emotional Sensing

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Der Mensch ist fähig, anhand der Mimik mit 72-prozentiger Wahrscheinlichkeit die Stimmung einer anderen Person einzuschätzen. Computer sind mittlerweile bereits bei einer Trefferquote von 82 %.

Das ist erst der Anfang einer technologischen Veränderung, die unser Leben bereits jetzt und in der Zukunft massgeblich begleiten und beeinflussen wird. [1]

Wenn Geräte unsere Mimik aufzeichnen (Tracking), diese Daten analysieren und uns auf deren Basis Vorschläge von Apps oder Musik unterbreiten, spricht man von “emotional sensing” und ist in diesem Kontext als Erweiterung zu den eingesetzten Interfaces zu verstehen. Dazu lassen sich theoretisch alle Geräte nutzen die Sensoren besitzen. Das kann das Smartphone mit der eingebauten Kamera sein oder auch Wearables, die für diesen Einsatzzweck prädestiniert sind. Durch den direkten Kontakt mit der Haut, kann man sich beispielsweise die Galvanic Skin Response (GSR) zunutze machen. Dabei wird der elektrische Leitungswiderstand der Haut gemessen, welcher abnimmt sobald es zu einer gesteigerten Schweisssekretion kommt. In Situationen emotionalen Stresses produziert unser Körper mehr Schweiss (Sympathikotonus) [2].

In welchem Kontext wird Emotional Sensing eingesetzt?

Monetär interessant wird das Erfassen von emotionalem Stress für Arbeitgeber, wenn die Mitarbeiter Entscheidungen in Sekundenschnelle treffen müssen und dabei viel Kapital auf dem Spiel steht. Dies wurde an einem Beispiel aus 2005 des chinesischen Unternehmens Mizuho Securities Co. sehr deutlich: Ein Händler wollte einen Anteil eines Stocks für 610.000 Yen (ca. CHF 5‘000) verkaufen, verkaufte jedoch 610.000 Shares für einen Yen. Der Handel konnte nicht storniert werden und hat dem Unternehmen am Ende einen Verlust von 224 Millionen US Dollar eingebracht [3]. Solche Fehler können durch den relativ kostengünstigen Einsatz von Emotional Sensing Technologie verhindert werden.

 

1. Bei kritischen Businessentscheidungen

 

Aus diesem Grund haben Philipps und die niederländische Bank ABN AMRO “Rationalizer” entwickelt. Sie sollen Händler unterstützen, Investitionsrisiken zu minimieren und einen kühlen Kopf zu bewahren. Beeinflussen Emotionen wie Furcht oder Gier das Verhalten, sind Menschen nicht mehr fähig objektive und faktisch orientierte Handlungen zu tätigen. [4]

Rationalizer besteht aus einem Armband, einer Software und einer Lampe, die je nach Intensität des Gefühls die Farbe des Lichtes ändert. Es wird also nicht die Art der Emotion, sondern nur deren Intensität angezeigt. Risikobehaftete Entscheidungen können so erneut abgewogen werden. [5]

Rationalizer consists of a bracelet, a software and a lamp that changes the color of the light according to the intensity of the feeling.

 

2. Für mehr Sicherheit im Strassenverkehr.

 

Grosse Automobilhersteller setzen bereits Techniken ein, welche den Gesichtsausdruck und die Zwinkerfrequenz des Fahrers auswerten. Bei eintretenden Müdigkeitserscheinungen werden entsprechende Warnungen ausgegeben. Panasonic hat unlängst eine Technologie vorgestellt, die auf Basis von Temperaturunterschieden des Fahrers Rückschlüsse auf dessen Stimmung möglich macht.

 

3. Zur Analyse der Gehirnleistung und Emotionen.

 

Auch im Spitzensport kommt Emotional Sensing zum Einsatz. Trainer, Teams und Athleten nutzen das “Versus” Headset der Firma Senselabs, die mit dem iPhone oder iPad per Bluetooth verbunden werden. Durch den Einsatz von Trockensensoren wird die Gehirnleistung gemessen und beispielsweise das Schlafverhalten oder das Ressourcenmanagement analysiert. Daraus folgend stellt die Software individuelle Trainingspläne zusammen um die mentale Genauigkeit, die Konzentration und das Schlafmanagement zu optimieren. [6]

Coaches and athletes use the "Versus" headset for individual training plans to optimise mental accuracy and concentration.

 

Einen Schritt weiter geht EQ Radio. Diese Technologie, die am Massachussets Institute of Technology (MIT) entwickelt wurde, misst die Emotionen der Zielperson über Radiofrequenz und komplett kabellos. Das Gerät sendet ein Funksignal und analysiert durch die Reflektion dieses Signals den emotionalen Zustand der Zielperson. Das Schlüsselelement dieser Technologie ist der zugrunde liegende Algorithmus, der in der Lage ist, den Herzschlag so akkurat wie ein auf dem Körper getragenes EKG-Gerät zu messen. Auch die Atemfrequenz wird analysiert. Anhand dieser beiden Parameter kann der Befindlichkeitszustand der Zielperson unabhängig von der Gesichtsmimik erkannt werden, denn diese ist nicht immer akurat. Bei einem Testversuch mit 30 Personen im Alter zwischen 19 bis 77 lag der Algorithmus bei 87% der Testteilnehmer richtig mit seiner Analyse. [7]

 

4. Als empathische Roboter und Personal Assistants.

 

IBM sowie zahlreiche Start-ups arbeiten an der Entwicklung von künstlicher Intelligenz für Personal Assistant Robots. Emotionen über die Veränderung der Stimme zu erkennen, liegt nahe, wenn der Roboter über sprachliche Befehle und Anfragen gesteuert werden soll. Erkennt die künstliche Intelligenz die Emotion des Menschen, kann dieser die eigene Sprachausgabe modulieren, um empathisch zu wirken.

Die Anwendung bei bereits bestehenden Sprach-Interfaces wie Siri, Cortana, Alexa oder Google Assistant einzubinden liegt nahe. Durch die Analyse der tonalen Veränderungen der Stimme können so noch natürlichere kontext- und stimmungsbezogene Antworten generiert werden. Potentielle Zielgruppen sind auch Callcenter, die damit den Gesprächsverlauf analysieren können und mittels A/B/N-Testing-Methoden ihre Verkaufstechnik ihren Kunden anpassen können.

In vielen Anwendungen hat Emotional Sensing positive Auswirkungen auf unser alltägliches Leben. Sei es um zu verhindern, dass wir emotionale und überstürzte Entscheidungen treffen oder beim Auto fahren vom Sekundenschlaf überrascht werden. Wir sind gespannt, in welchen weiteren Gebieten Emotional Sensing Einzug halten wird.

 

Mehr aus der Reihe «The Future of Interfaces» könnt ihr in unseren Artikeln Machine Learning und Artificial Intelligence oder Augmented und Virtual Reality lesen. 

 

Quellen: 

[5] Walter Capellmann, Roger Peverelli: Wie sich die Finanzbranche neu erfindet: Was Kunden von Finanzdienstleistern wirklich erwarten, Finanzbuchverlag, 2012

Titelbild: Photo by why kei on Unsplash